Sonntag, 23. Oktober 2011

Die Drei Gesichter

Es regnet. Wie so oft im Herbst. Es regnet in Strömen. Und es ist dunkel. Die Menschen eilen umher, suchen Schutz. Oder laufen nach Hause. Eine Straße nahe am Industriegebiet irgendeiner modernen Großstadt. Viele der Hallen stehen schon leer, die besten Jahre sind hier schon lange vorbei. Die Gegend ist heruntergekommen, Graffitis; zerschlagene Fenster; und nur ein paar Jugendliche, die rauchen und trinken, und alle anpöbeln, die vorrübergehen, was aber nicht viele sind. Protest, Rebellion, das sind ihre Motive.
Unter einer der wenigen noch intakten, flackernden Straßenlaternen steht er. Ganz still, bewegungslos... Niemand bemerkt ihn, bis auf die Jungen, welche ihn verspotten. Die wenigen Erwachsenen, die durch den Regen auf dem kürzesten Weg nach Haus eilen, bermerken ihn nicht, sind blind.
Ein Wagen fährt vorbei, Wasser spritzt auf, mitten auf ihn. Er rührt sich nicht.
Wer ist er? Er ist ein Witz der Gesellschaft, der Clown. Groß, und mager. Und er ist nicht lustig. Nein, das weiße Gesicht ist mit tiefen Falten durchzogen, die Mundwinkel und der aufgemalte Mund zeigen nach unten. Die Augen blicken müde in die Dunkelheit. Er hat keine Haare, aber eine alte, zerbeulte Melone auf dem Kopf. Aus der großen roten Nase läuft ein wenig Schleim, er scheint krank zu sein. Er trägt einen alten, mit Flicken übersäten Mantel. Nass und schmutzig. Die Hose ist genauso schmutzig und nass und viel zu groß. Ein Seil hält sie auf den mageren Hüften. Die Hände stecken in fingerlosen Handschuhen, unter den Nägeln ist dreck. Seine große Fliege hängt ebenso schlaff wie sein Accordion um seinen Hals.

Da steht er also, im Regen unter der flackernden Laterne. Und wartet. Auf seine beiden Brüder. Es sind Drilinge, doch der eine ist etwas zu kurz geblieben. Dort hinten kommen sie. Der eine groß, mit tänzelndem Schritt. Er trägt als einziger bunte, übergroße Schuhe. Die der anderen sind einfach nur noch matt. Sein Gesicht ist verblüfft, ein fragendes Gesicht wurde über sein echtes gemalt. Doch das echte lächelt. Zumindest ein wenig. Er hat rote lockige Haare, zwei große Büschel, links und rechts am Kopf. Eine grüne Krawatte mit blauen Punkten, ein rot weiß gestreiftes Hemd und eine rote Flickenhose. Er hat eine handvoll langer Luftballons und knotet kleine Tiere daraus. Nun ist ers bei seinem Bruder, umtanzt ihn, versucht die Heiterkeit zu übertragen. Es gelingt nicht. Nichtmal die kleine Hupe hilft.
Der letzte der Brüder ist nun auch da. Der zu kurze. Mit schlürfendem Gang und mürrischem Blick stößt er zu ihnen. Seine kurzen struppigen Haare umkränzen den Kopf. Sein Gesicht ist nicht komplett weiß. Nur um Mund und beide Augen. Zwei senkrechte schwarze Striche über die Augen und die Nase rot angemalt. Sein Kinn und Hals unter einem ungepflegten Drei Tage Bart. Die Augen grimmig zusammengekniffen. Er trägt nur ein schmuddeliges, farbloses Unterhemd, sein altes Sacko über der Schulter. Unter dem hemd wölbt sich ein kleiner Bauch über die Braune Hose, eingerahmt von zwei Haosenträgern. Auch er trägt die fingerlosen Handschuhe. Aus der Tasche ragt ein halb leere Schnapsflasche.
Er steht da, blickt aus zusammengekniffenen Augen auf seine Brüder. Der mittlere tanzt noch immer fröhlich hupend umher. Ärgerlich reist er ihm die Hupe aus der Hand, wirft sie auf die Straße, tritt mehrmals darauf. Dann verpasst er ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und blickt in wütend an.
Der jüngste Bruder, der Spaßmacher, lächelt nun nicht mehr. Der kleine nimmt einen Schluck aus der Flasche und zündet sich eine Zigarette an. Er hat fast keine mehr, nur noch drei zerknitterte.
Wieder schultert er sein Sacko und läuft, nach kurzem Innehalten weiter. Die dunkle Straße entlang. Eine energische Handbewegung, die anderen folgen.
Stumm und niemand lächelt mehr, die Hupe hebt der jüngste noch auf, sie ist verbeult und hupt nicht mehr.
Der traurige Clown hat keine Miene verzogen, die ganze Zeit nicht, er ist einfach zu alt und müde.

Nach kurzer Zeit verschwinden sie in der Dunkelheit.Waren sie überhaupt da? Es scheint wie ein seltsamer Traum. Es regnet und ist kühl. Es ist Herbst.

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